Das TRIPS-Abkommen und der Zugang zu lebenswichtigen Medikamenten

Vorgeschichte

1994 wurde in Marrakesch das GATT-Abkommen unterzeichnet, das die achtjährigen Ver-handlungen der Uruguay-Runde abschloss. Als Nachfolgeorganisation des GATT entstand die WTO (Welthandelsorganisation). In diesem Rahmen entstand auch das TRIPS-Abkommen, das unter anderem den Schutz von Patenten und Rechten an geistigem Eigentum für Innovationen in den Bereichen Technologie, Pharma und Biotechnologie auf alle Länder ausweitete. Die Vergabe eines Patentes erfolgt unter anderem unter folgenden Voraussetzungen: Neuheit des Produktes, technologische Innovation, Reproduzierbarkeit. Die Patente schützen eine Erfindung während mindestens 20 Jahren, die Nutzung durch Dritte ist nur mit Lizenzen möglich.

Das TRIPS-Abkommen behandelt Medikamente gleich wie irgendein anderes Produkt. Dies schafft schwerwiegende Probleme für die Gesundheitsversorgung in den Entwicklungslän-dern, weil patentierte Produkte für die dortige Bevölkerung meist unbezahlbar sind. An der WTO-Ministerkonferenz in Doha Ende 2001 konnten die fehlende Flexibilität und die Grenzen des TRIPS-Abkommens zur Sprache gebracht werden. Gegen starken Widerstand der Industrieländer, inklusive der Schweiz, konnte in Doha eine Lockerung durchgesetzt werden. Die Doha-Deklaration gibt jedem Mitglied das Recht, "Zwangslizenzen zu erteilen, und die Freiheit, die Gründe festzulegen, aufgrund welcher solche Lizenzen erteilt werden". Zwei Drittel der Entwicklungsländer können aber von dieser Regelung nicht profitieren, da sie nicht über eine entsprechende Industrie verfügen und die Ersatzprodukte nicht exportiert werden dürfen. Bis Ende 2002 hätte für dieses Problem eine Lösung gefunden werden sollen, die Verhandlungen sind aber noch nicht abgeschlossen. Die Schweiz befindet sich leider unter den Ländern, die sich für eine möglichst enge Auslegung der Regeln einsetzen.

Das ursprüngliche TRIPS-Abkommen wurde zwar in Doha nicht verändert, es kann jetzt aber flexibler angewendet werden. Im Interesse der Entwicklungsländer sind jedoch weitere Modi-fikationen dringend nötig.

Freier Markt …

Die Einschätzung des TRIPS-Abkommens fällt ganz unterschiedlich aus, je nachdem, ob sie aus einem wohlhabenden oder aus einem Entwicklungsland stammt. Mit der vorgesehenen Ausweitung des Patentschutzes wird sich die Situation der Gesundheitsversorgung in den Entwicklungsländern noch verschärfen. Problematisch erscheint, dass pharmazeutische und biotechnologische Produkte gleich behandelt werden wie irgendeine Handelsware. Sie unter-liegen den Gesetzen des "freien Marktes".

Ein Beispiel: Auf den lokalen Märkten in Madagaskar werden neben Früchten und Gemüsen auch lokale Heilkräuter verkauft. Sie stammen aus Wäldern, die für ihre grosse Biodiversität bekannt sind. Mehr als 10'000 aus Madagaskar stammende Pflanzen sind als Heilpflanzen anerkannt. Auch wenig bemittelte Personen können sich diese Heilpflanzen leisten. Einige dieser Pflanzen sind im Ausland bekannt, zum Beispiel zur Krebsbekämpfung, und werden auch für den Export angebaut. Die natürliche Freiluft-Apotheke Madagaskar hat das Interesse der Investoren geweckt. Zum Beispiel könnten Varianten von Pflanzen gezüchtet und dann patentiert werden. Interessiert sind die lokalen Unternehmen, die diese Pflanzen exportieren und auf der Basis von alten Rezepten Medikamente herstellen, des Weiteren ausländische Forschungszentren, z.B. das Institut Pasteur, und vor allem international tätige Konzerne, denen es nicht schwer fällt, die lokalen Unternehmen nach und nach aufzukaufen.

In vielen Entwicklungsländern bildet sich eine Wirtschaft der zwei Geschwindigkeiten heraus. Das Einkommen, das auf der Basis des lokalen Reichtums an Naturgütern entsteht, trägt oftmals nicht zur Förderung des lokalen Wohlstands und des kulturellen Reichtums einer Region bei. Man kann diesen Prozess häufig nicht anders als mit dem Wort "Plünderung" bezeichnen.

… und Ungleichheit

Wer wird in den Entwicklungsländern Patente beantragen? Wer hat die Mittel für Innovationen? Ausschlaggebend ist die rasche Innovation, denn die allgemeinen Übergangsfristen laufen 2005 ab, jene für Pharmapatente 2016. Gewisse Länder werden früher oder später gezwungen sein, Patente zu beantragen und/oder Lizenzen zu bezahlen für die Produktion ihrer Medikamente. Viele haben aber weder Mittel, um Medikamente zu kaufen, noch die Infrastruktur, um Produktionsstätten aufzubauen. Angesichts der haushohen finanziellen Überlegenheit der internationalen Konzerne sind ihnen die Hände gebunden.

Wer hat leichten Zugang zu moderner Technologie? Forschung ist teuer. Sogar grosse Pharma- und Biotechnologiekonzerne haben gewisse Forschungsaktivitäten an Universitäten verlagert. Dies erleichtert den Unternehmen den Zugang zu moderner Technologie und zu hochqualifiziertem Personal. Ihr Vorsprung ist enorm.

Wer wird die Produkte herstellen? Auch auf diesem Feld haben die Grossunternehmen die Nase weit vorne. Was wo produziert wird, entscheidet sich auf Grund ihrer strategischen Interessen. Die Pharmakonzerne haben grosse Verdienste in der Entwicklung von neuen Heilmitteln. Allerdings dienen gemäss einer Meldung von MSF (Médecins sans frontiè-res/Ärzte ohne Grenzen) unter den ungefähr 1300 neuen Medikamenten, die in den letzten 25 Jahren entwickelt wurden, nur 11 zur Bekämpfung von Tropenkrankheiten…

Das Thema muss im Auge behalten werden. Besonders in der Schweiz ergeben sich in die-sem Zusammenhang einige Fragen, die in Zukunft den Pharmafirmen gestellt werden sollten.


Der runde Tisch von ACTARES

Im Februar 2003 fand in Genf die dritte europäische Konferenz der Ethical Shareholders statt, organisiert durch ACTARES, AktionärInnen für nachhaltiges Wirtschaften, und durch den deutschen Dachverband der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre. Im Rahmen dieser Konferenz waren drei Fachleute zu einem runden Tisch eingeladen. Ihre Ausführungen zum Thema TRIPS verdeutlichten dessen enorme Komplexität und die starken Auswirkungen des Abkommens sowohl auf die Pharma- und Biotech-Industrie wie auch auf die Entwicklungsländer.

David Vivas Eugi vom International Centre for Trade and sustainable Development in Genf sprach über das Spannungsfeld TRIPS-Abkommen und öffentliches Interesse. Eine Vielfalt von Themen wie Innovationsförderung, Gesundheit und Zugang zu Medikamenten, Nahrungsmittelsicherheit, Technologietransfer, Wettbewerbsregelungen, Menschenrechte, Entwicklung, Bekämpfung der Armut, Umweltschutz und Erziehung kamen zur Sprache. Dr. Gopal Dabade von der BUKO Pharma-Kampagne, Bielefeld, Deutschland, erläuterte den Zusammenhang zwischen TRIPS und dem fehlenden Zugang zu Medikamenten für Arme, besonders in den Entwicklungsländern. Brewster Grace vom Quaker United Nations Office in Genf berichtete über die Grundlagen der bisherigen Diskussionen zum Thema.

Dieser sehr informative runde Tisch zeigte mit aller Klarheit die Verletzlichkeit der öffentlichen Gesundheit in den Entwicklungsländern und die Zusammenhänge mit internationalen Regelungen. Direkte und indirekte Aktionärinnen von Pharma- oder Biotech-Firmen werden sich mit diesem Thema weiter auseinandersetzen müssen.