Lesetipp: Der armen Leute reiches Land

Dass sich Karin Scheidegger für ihre Reportagen selbst in Gefahr begibt, um die Gesellschaft aufzurütteln, ist alles andere als selbstverständlich. Für Organisationen wie Actares ist solcher Mut äusserst wichtig, damit sie die Konzernspitzen im Gespräch mit Missständen konfrontieren und zu verantwortungsvollem Handeln bewegen können.

Im September hat die Berner Fotografin Karin Scheidegger ihr neues Magazin «Rich Lands of Poor People – Das Szenario von Chhattigsgarh» veröffentlicht. Wenn sich genügend Unterstützung findet, soll die aufrüttelnde Bestandesaufnahme über ein Dorf, dessen Geschichte vom Konflikt mit LafargeHolcim geprägt ist, auch in Englisch, Hindi und wenn möglich Französisch erscheinen.

Scheidegger nennt ihre Publikation «Magazin», aber was da in sieben Jahren Arbeit entstanden ist, ist eigentlich eine 190 Seiten umfassende, farbige Dokumentation. Scheidegger beschreibt ihr Werk selbst als Unikum, denn es lässt sich als Fotoband betrachten oder wie ein Buch lesen, ist tiefgründig und erzählt eindrücklich die Geschichte einer Gegend im indischen Bundesstaat Chhattigsgarh, dessen Ressourcen und Bodenschätze begehrt sind, deren Bevölkerung mit ihren Anliegen aber ignoriert wird.

Hier haben auch zwei Zementwerke des Schweizer Baustoffkonzerns LafargeHolcim ihren Standort. Schon 2005, als die damalige Holcim die Firmen kaufte, war die Region zwar durch die Industrialisierung von Zwangsumsiedlungen und Enteignungen betroffen. Weiteres Kulturland fiel dann aber auch der Zementexpansion zum Opfer.

Scheidegger lässt die betroffenen Menschen – Leiharbeiter, Bäuerinnen, Landarbeiter, Familien – ausführlich zu Wort kommen. Was sind ihre Geschichten? Was die Perspektiven? Welche Verantwortung übernimmt der Schweizer Konzern vor Ort? Was hat die lokale Gewerkschaft erreicht? Die Antworten sind ernüchternd. Selbst die Buchautorin geriet in Konflikt mit der Polizei. Die Pressefreiheit zählt in Chhattisgarh nichts, heisst es bei «Reporter ohne Grenzen».

Mit starken Bildern und Texten berichtet Scheidegger über den endlosen Kampf. Die Fotografin und die betroffene Bevölkerung sind aber von der Wirksamkeit ihres Kampfs überzeugt: Immerhin konnte sich die lokale Gewerkschaft mit einer Beschwerde wegen Gesprächsverweigerung und unrechtmässigen Umleitens der Wasserversorgung erfolgreich bei der OECD durchsetzen. Aus unserer Sicht unbestrittene Rechte. Im Wirkungsgebiet von LafargeHolcim trifft das aber offensichtlich nicht zu.

Nun soll diese Dokumentation auch in anderen Sprachen publiziert werden. Zu diesem Zweck rühren wir für die Autorin gerne die Werbetrommel. Sie erinnern sich vielleicht: Actares hat bereits 2013 auf Scheidegger aufmerksam gemacht, die damals erstmals über die Missstände in Chhattisgarh berichtete.

Das Magazin eignet sich als Geschenk. Wer gleich bestellt, hat es rechtzeitig unter dem Weihnachtsbaum.

Karin Scheidegger, «Rich Lands of Poor People». Erste Auflage, Artist Edition, September 2020, Auflage 500 Ex., ISBN 978-3-033-08067-6

www.karinscheidegger.ch