Meinung: Recht, Moral und COVID

Ist die Ausschüttung von Dividenden gerechtfertigt, wenn ein Unternehmen staatliche Hilfe in Anspruch nimmt oder gar Kurzarbeit anmeldet? Edouard Dommen, Mitglied der Actares Reflexionsgruppe, erachtet ein solches Geschäftsgebahren moralisch als äusserst problematisch, auch wenn es rechtlich zulässig ist. (Die «Groupe de réflexion» befindet sich derzeit mitten in der Diskussion um eine für Actares gültige Haltung zu diesem Thema.)

Die Behörden betonen immer wieder, dass die finanzielle Unterstützung des Staates einerseits das Einkommen von Arbeitnehmenden sichern soll, die wegen der Pandemie keine Arbeit haben, und andererseits der Neuausrichtung von Unternehmen auf Tätigkeiten dienen soll, die sich mit den neuen Rahmenbedingungen besser vereinbaren lassen.

Arbeitslosen ein Einkommen zu gewährleisten, erleichtert nicht nur deren persönliche Not, sondern hilft auch im weitesten Sinne der Realwirtschaft, indem sie diesen Personen die Möglichkeit gibt, Waren und Dienstleistungen zu beziehen. Die Herausgeber der «Revue de Genève» haben momentan Probleme mit den Justizbehörden, weil sie Staatshilfen genutzt haben, um Schulden zu tilgen, obwohl diese Mittel für die Zahlung der Löhne der Mitarbeitenden und Kulturschaffenden bestimmt waren (Tribune de Genève, 14.10.).

Die Neuausrichtung eines Unternehmens erfordert in der Regel neue Investitionen und somit Kapital. Wenn ein Unternehmen über genügend Mittel verfügt, um Dividenden auszuschütten, reichen diese Mittel zwangsläufig auch für Investitionen. Dann braucht es keine staatlichen Hilfen.

Die direkten Aktionäre werden – anders als Arbeitnehmende in prekären Bedingungen – nicht von unmittelbaren Bedürfnissen getrieben, sie besitzen ja Kapital in Aktienform. Gewiss kommen die Dividenden, die Unternehmen an die Pensionskassen als ihre Aktionäre ausschütten, den Pensionierten zugute, die ja keineswegs im Geld schwimmen. Allerdings halten die Pensionskassen nur 10 Prozent der Aktien in der Schweiz. Es ist daher wenig effizient, alle Aktionäre von einem Geldsegen profitieren zu lassen, nur damit diese 10 Prozent auf ihre Kosten kommen. Die Pensionskassen leiden im Übrigen vor allem unter den Zinssätzen, die mehr oder weniger bei null liegen, und zwar wegen anderer Entscheidungen der Behörden und der Nationalbank. Gezielte offizielle Massnahmen für Rentnerinnen und Rentner in Not wären besser – analog zu den Massnahmen für Arbeitnehmende in prekären Situationen.

Die Dividenden blasen eher den Börsenwert der Aktien auf, als dass sie den Kauf von Waren und Dienstleistungen in der Realwirtschaft ankurbeln würden. Aktionäre wie Actares sorgen sich gewiss vor allem um die Resilienz ihrer Unternehmen. Ich empfehle Ihnen dazu die Wirtschaftschronik des Ökonomen Paul Dembinski, Co-Präsident der Jury des Prix «Éthique et confiance en finance», in der «Tribune de Genève» vom 15. Oktober. Dort erklärt Dembinski insbesondere, dass «die Zentralbanken und die Regierungen grosszügig liquide Mittel einschiessen, um die Realwirtschaft, die von der Pandemie hart getroffen wurde, zu unterstützen. Die Börsenmärkte verschlingen mindestens die Hälfte dieses Volumens zur Finanzierung der Kurssteigerungen.»

Ich als Aktionär habe für mich persönlich beschlossen, während dieser Pandemie gegen alle Vorschläge, Dividenden auszuschütten, zu stimmen, wenn:

  • ein Unternehmen einen «COVID-Kredit» erhalten hat; zuerst muss dieser Kredit abgezahlt werden, damit andere Unternehmen, die diesen Kredit offensichtlich mehr brauchen, davon profitieren können.
  • ein Unternehmen vorschlägt, die Dividenden aus seinen Reserven auszuschütten – ausser es habe beschlossen, seinen Betrieb einzustellen.

Edouard Dommen, Actares-Mitglied und Mitglied der Arbeitsgruppe «Reflexion»