Nichtfinanzielle Berichterstattung: Es wird ernst

Beat Schmid, Wirtschaftsjournalist, Herausgeber des Online-Mediums tippinpoint.ch


Der Bundesrat gibt die Richtung vor. Bis 2050 soll die Schweiz klimaneutral werden. Das ganze Land, die privaten Haushalte, die öffentliche Hand und die Wirtschaft sollen in den verbleibenden 26 Jahren den CO₂-Ausstoss auf netto null senken. So will es das Pariser Klimaabkommen, zu dem sich die Schweiz 2016 verpflichtet hat.

Doch wie kann die Dekarbonisierung eines ganzen Landes gelingen? Grundsätzlich stehen verschiedene Instrumente zur Verfügung: Am wirksamsten wäre es, wenn die Politik die klimaschädlichen Gase mit einem Preis versehen würde – nicht nur in der Schweiz, sondern in allen grossen Volkswirtschaften der Welt. Würden sich die Länder zu einem solchen Preis verpflichten, könnte der Ausstieg aus der Kohle-, Öl- und Gaswirtschaft schnell und effizient vorangetrieben werden.

Die Einführung scheiterte jedoch an politischen Widerständen. Auch der zweite Weg über Verbote, Regulierungen oder Fördermassnahmen ist schwierig. Das zeigt die Ablehnung des CO₂-Gesetzes im Jahr 2021 durch das Schweizer Stimmvolk. So hätten ab 2023 keine Neubauten mehr CO₂ ausstossen dürfen und die Importeure von Treibstoffen hätten einen höheren Anteil der Klimaemissionen kompensieren müssen. Die CO₂-Zielwerte für Neuwagen wären verschärft worden, es hätte eine Flugticketabgabe und eine Lenkungsabgabe auf fossile Brennstoffe gegeben.

Nun soll es ein dritter Ansatz richten. Das Instrument heisst Transparenz. Die Idee: Wenn Unternehmen über ihren ökologischen Fussabdruck berichten müssen, sind sie bereit, ihn zu verkleinern. Die Offenlegung nichtfinanzieller Kennzahlen eines Unternehmens kommt somit einem institutionalisierten «Naming and Shaming» gleich. Damit sollen Anreize geschaffen werden, dass Unternehmen auf Druck der Aktionäre oder der Öffentlichkeit, aber letztlich freiwillig ihre Bilanzen entkarbonisieren und aus klimaschädlichen Geschäften aussteigen.

Ein erster Pflock ist eingeschlagen

Die Schweiz hat mit dem Gegenvorschlag zur 2020 abgelehnten Konzernverantwortungsinitiative (KVI) einen ersten Pflock auf dem Weg zu einer transparenteren Offenlegung eingeschlagen. Die «Verordnung über die Berichterstattung über Klimabelange» gilt für Unternehmen ab dem 1. Januar 2024. Von der Berichterstattungspflicht sind Schweizer Publikumsgesellschaften erfasst, die bestimmte Grössenkriterien erfüllen.

Sie müssen folgende zwei von drei Kriterien in zwei aufeinander folgenden Jahren erfüllen: 500 Mitarbeitende, 20 Millionen Franken Bilanzsumme, 40 Millionen Franken Umsatz. Die Verordnung verlangt eine detaillierte Berichterstattung zu Klimathemen analog den Anforderungen der TCFD (Task Force on Climate-related Financial Disclosures). Die TCFD wurde 2015 vom Financial Stability Board (FSB) mit Sitz in Basel gegründet. Ihr Fokus besteht in der Berichterstattung über die Auswirkungen einer Organisation auf das globale Klima.

Die Anforderungen der TCFD sind in vier Bereiche unterteilt: Governance, Strategie, Risikomanagement und Kennzahlen. Die Unternehmen müssen die entsprechenden Anforderungen identifizieren und diese in den Unternehmensprozessen abbilden sowie Informationen aufbereiten, die zeigen, inwiefern das Unternehmen von Klimarisiken betroffen ist und welche Chancen sich aus einem Übergang in eine fossilarme Wirtschaft ergeben.

Sie müssen darlegen, welche Ziele sie sich für die kommenden Jahre gesetzt haben und ob sie die gesetzten Zwischenziele erreicht haben oder nicht. Für einige Schweizer Konzerne stellt die verpflichtende Berichterstattung über nichtfinanzielle Aspekte keine grosse Hürde dar, da sie ihre umweltrelevanten Daten bereits freiwillig in ihren Nachhaltigkeitsberichten gemäss den Empfehlungen der TCFD publiziert haben.

Anders sieht es bei Firmen aus, die erst in diesem Jahr mit der Erhebung von Umweltdaten begonnen haben. In einem ersten Schritt müssen sie die richtigen Datenquellen ausfindig machen und Prozesse definieren, wie die Daten erhoben und für die Berichterstattung aggregiert werden müssen. In der Praxis stellt sich die oft dürftige Datenlage als grosses Problem dar. Es ist daher gut möglich, dass nicht alle Nachhaltigkeitsberichte, die im kommenden Frühjahr veröffentlicht werden, vollständig sein werden. Die betroffenen Unternehmen müssen dann nach dem Prinzip «Comply or Explain» begründen, warum sie über bestimmte Offenlegungspunkte noch nicht berichten können.

Die Schwelle wird gesenkt

Doch wer glaubt, mit der Schweizer Verordnung zur Klimaberichterstattung sei es getan, der irrt. Zum einen hat die Schweizer Regierung Ende September einen Gesetzesentwurf verabschiedet, der die Schwelle für berichtspflichtige Unternehmen deutlich senkt. Neu sollen Publikumsgesellschaften und Finanzunternehmen bereits ab 250 Mitarbeitenden ihre Umweltdaten offenlegen müssen. Fallen heute etwa 250 Unternehmen unter die Pflicht, werden es in Zukunft wohl über 1000 sein.

Der Bundesrat begründet die Ausweitung der Berichterstattungspflichten mit europäischem Recht. Auf Anfang 2023 hat die EU zeitgleich mit der Schweiz eine analoge Richtlinie in Kraft gesetzt, wonach Unternehmen aus den Mitgliedstaaten im kommenden Jahr ebenfalls über ihre Nachhaltigkeitsdaten berichten müssen. Wie der Bundesrat in seiner Begründung schreibt, sind sowohl grosse als auch kleine Schweizer Unternehmen «direkt oder indirekt von den neuen EU-Regeln betroffen».

Die EU-Richtlinie mit dem Namen CSRD (Corporate Sustainability Reporting Directive) geht deutlich weiter als das Schweizer Pendant. Sie basiert auf dem Konzept der sogenannten «doppelten Wesentlichkeit» (Double Materiality). Konkret bedeutet dies, dass Unternehmen die Nachhaltigkeitskriterien aus zwei Perspektiven betrachten und auch rapportieren müssen. Bei der Aussensicht geht es um die Darstellung der Chancen und Risiken von Umweltaspekten in Bezug auf die finanzielle Lage und die Zukunftsfähigkeit des Geschäftsmodells. Bei der Betrachtung von innen nach aussen steht der Impact im Vordergrund, also der Fussabdruck, den ein Unternehmen in Bezug auf Nachhaltigkeitsthemen hinterlässt.

Über 1000 Offenlegungspunkte

Die CSRD wird durch die ESRS (European Sustainability Reporting Standards) umgesetzt. Bisher sind 12 ESR-Standards in Kraft getreten, weitere werden folgen, darunter auch branchenspezifische Anforderungen. Diese werden in den nächsten zwei Jahren erwartet. Wenn ein Unternehmen nach den ESRS berichtet, müssen wesentlich mehr Daten erfasst werden. Es ist von über 1000 Offenlegungspunkten die Rede.

Die CSR-Richtlinie der EU betrifft alle Unternehmen mit mindestens 250 Mitarbeitenden, einer Bilanzsumme von mehr als 20 Millionen Euro und einem Umsatz von über 40 Millionen Euro. Auch Schweizer Unternehmen sind betroffen, sofern sie Eigen- oder Fremdkapitalinstrumente an einem geregelten Markt in der EU kotiert haben und ähnliche Grössenkriterien erfüllen.

Die nächsten Ausbauschritte der CSRD sind bereits terminiert. Schweizer Unternehmen werden in Zukunft noch stärker in die Pflicht genommen. So müssen ab dem Geschäftsjahr 2028 hiesige Firmen mit EU-Tochtergesellschaften, die einen Umsatz von mehr als 150 Millionen Euro erzielen, die EU-Richtlinie auch auf Konzernebene umsetzen. Damit gibt die EU gewissermassen den Takt vor.

Dies hat auch der Bundesrat erkannt und öffnet sich den EU-Vorgaben. Schweizer Unternehmen sollen die Wahl haben, sich bei der Nachhaltigkeitsberichterstattung entweder am EU-Standard oder an einem anderen gleichwertigen Standard zu orientieren. Für Unternehmen, die Standorte in EU-Ländern haben, ist der Fall klar: Sie werden sich künftig nach den EU-Standards richten müssen.