Neue Regeln für Corporate Governance in der Schweiz

Viele AktionärInnen mussten im vergangenen Jahr mit ihren Anlagen bittere Verluste einste-cken, aber in anderer Hinsicht sind sie bereichert worden. Das Zauberwort «Corporate Go-vernance» hat die Runde gemacht und eine Dynamik in Gang gebracht, in deren Lauf der eine oder andere Unternehmensführer arg Federn lassen oder gar seinen Sessel räumen musste. Auch wenn eine griffige Übersetzung von Corporate Governance (CG) bis heute fehlt, können sich viele Leute mittlerweile etwas unter dem Begriff vorstellen. Man weiss, dass die Doppelmandate von Rolf Hüppi und Lukas Mühlemann etwas damit zu tun haben und dass auch die unverschämten Bezüge von Percy Barnevik Ausdruck schlechter CG sind.

Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hat bereits 1998 Grundsätze zur CG aufgestellt. In vielen Industrieländern wurden ebenfalls entspre-chende Regeln erarbeitet. Ähnliches fehlte bisher in der Schweiz. Um dies nachzuholen, sind die Schweizer Börse SWX sowie der Verband der Schweizer Unternehmen economiesuisse aktiv geworden: SWX erarbeitete eine “Richtlinie betreffend Informationen zur Corporate Go-vernance“ und economiesuisse den “ Corporate Governance Swiss Code of Best Practice“. Beide Projekte sollen dazu beitragen, dass die CG der Schweizer Unternehmen verbessert wird. Die Richtlinen der SWX definieren Offenlegungspflichten, d.h. sie schreiben vor, welche zusätzlichen Informationen die Unternehmen künftig im Geschäftsbericht veröffentlichen müssen. Der Swiss Code of Best Practice hingegen bezeichnet konkrete inhaltliche Vorga-ben für gute CG. Während die Richtlinen der SWX für alle kotierten Unternehmen ab dem Geschäftsjahr 2002 verbindlich werden, hat der Swiss Code of Best Practice lediglich Emp-fehlungscharakter. Die beiden Dokumente sollen im Juli 2002 in einer gemeinsamen Bro-schüre veröffentlicht und allen börsenkotierten Unternehmen zugestellt werden. Zu beiden wurden im Herbst 2001 Vernehmlassungen durchgeführt. ACTARES hat die Gelegenheit genutzt und zu den Dokumenten Stellung genommen.

Eine eindeutige Definition des Begriffes «Corporate Governance» existiert bisher nicht. SWX und economiesuisse wählten die folgende: " Corporate Governance ist die Gesamtheit der auf die Aktionärsinteressen ausgerichteten Grundsätze, die unter Wahrung von Entschei-dungsfähigkeit und Effizienz auf der obersten Unternehmensebene Transparenz und ein ausgewogenes Verhältnis von Führung und Kontrolle anstreben." ACTARES verlangte im Einklang mit den Grundsätzen der OECD, dass CG nicht nur auf die Aktionärsinteressen, sondern auf die langfristige Sicherung des Unternehmenswertes zum Nutzen aller An-spruchsgruppen (Stakeholder) ausgerichtet sein müsse. Dieser Vorschlag wurde abgelehnt. SWX und economiesuisse sind der Ansicht, dass durch eine Ausrichtung auf die Aktionärsin-teressen die anderen Stakeholder automatisch am meisten profitieren.

Nach der neuen Richtlinie der SWX sollen die Unternehmen künftig Informationen offen le-gen müssen zu Themen wie Entschädigungen, Aktien und Optionen von Verwaltungsrat und Geschäftsleitung, interne Aufgabenteilung im Verwaltungsrat, Kompetenzregelung zwischen Verwaltungsrat und Geschäftsleitung, Aufsichts- und Kontrollinstrumente, jährliche Zahl der Sitzungen des Verwaltungsrates und der Verwaltungsratsausschüsse, Offenlegung weiterer Verwaltungsratsmandate sowie der Mandate für Interessenverbände und der Funktionen in politischen Gremien.

Die Offenlegungsrichtlinie der SWX wird zu einer wesentlich verbesserten Transparenz füh-ren. ACTARES war daher mit praktisch allen Punkten einverstanden. Ungenügend waren lediglich die Regelungen zu Entschädigungen und Boni der Mitglieder des Verwaltungsrats und der Geschäftsleitung. Nach Meinung von ACTARES hätten diese einzeln, statt gesamt-haft für das ganze Gremium angegeben werden müssen. Auch damit hatta ACTARES kei-nen Erfolg. Mittlerweile haben sich unter dem Druck der öffentlichen Meinung trotzdem eini-ge VR-Präsidenten, unabhängig von den Vorgaben der SWX dazu durchgerungen, ihre Ent-schädigungen offenzulegen.

Zahlreicher waren die Mängel im Swiss Code of Best Practice. Damit wirklich ein Massstab für "Best Practice" entsteht, machte ACTARES zahlreiche Verbesserungsvorschläge. Sie stiessen leider mehrheitlich auf wenig Gegenliebe. So verlangte ACTARES vergeblich, dass bei Nennwertrückzahlungen die Schwellen für Traktandierung und für die Durchführung einer Sonderprüfung automatisch proportional herabgesetzt werden. Nennwertrückzahlungen werden heute sehr häufig durchgeführt und führen zu einer z.T. drastischen Schmälerung der Aktionärsrechte. In vielen Unternehmen ist es bereits heute praktisch unmöglich, Anträge an die Generalversammlung zu stellen. Der Swiss Code of Best Practice enthält jetzt ledig-lich eine unverbindliche Formulierung. Keine Gnade fand auch der Vorschlag, dass die Funk-tionen von Verwaltungsratspräsidium und CEO (Vorsitz der Geschäftsleitung) grundsätzlich getrennt sein müssen. Ebenfalls chancenlos waren die Forderungen, der Verwaltungsrat sol-le sich mindestens sechs Mal pro Jahr treffen und müsse bezüglich fachlicher Kompetenzen, Geschlecht und Herkunft ausgewogen zusammengesetzt sein, die Auswahlkriterien für neue Mitglieder des Verwaltungsrates seien gegenüber den AktionärInnen offen zu legen und Ab-gangsentschädigungen müssten begrenzt werden.

Zwei Anregungen von ACTARES wurden doch noch aufgenommen: Unternehmen die sich schweizerischer "Best Practice" rühmen wollen, sorgen in Zukunft dafür, dass die Statuten jederzeit in schriftlicher oder elektronischer Form erhältlich sind. Eine Selbstverständlichkeit, nicht? Offenbar nicht: Im Vorschlag von ACTARES hatte es ursprünglich "und" nicht "oder" geheissen. Das wäre wesentlich aktionärsfreundlicher gewesen. Zum Zweiten wurde ein Passus weggestrichen, der darauf abzielte, die Generalversammlung möglichst schnell ab-zuhandeln, und ein Satz zur Beschränkung der Redezeit entschärft.

Insgesamt kann man sagen, dass die Richtlinie der SWX einige substantielle Verbesserun-gen bringt. Die Auszeichnung "Best Practice" nach economiesuisse sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Limite so tief gesetzt ist, dass "even better practice" noch gut rea-lisiert werden kann. Viele Unternehmen werden sich dementsprechend wohl auch an an-spruchsvolleren Vorgaben orientieren.