Interview: Patrick Durisch

Patrick Durisch, Gesundheitsexperte bei der Erklärung von Bern, befasst sich mit der Auslagerung von klinischen Medikamentenversuchen in Schwellen- und Entwicklungsländer. Dabei untersucht er, ob multinationale Pharma-Firmen wie Novartis oder Roche ethische Richtlinien und Menschenrechte respektieren. Am 2. Actares-Forum stellte er seine Erkenntnisse vor.

Warum lagern Pharmamultis die sogenannten klinischen Versuche immer mehr aus in Entwicklungs- und Schwellenländer?
In einigen Ländern müssen Medikamente vor der Kommerzialisierung aus medizinischen und rechtlichen Gründen innerhalb des eigenen Staatsgebiets getestet werden. Die Auslagerung ist aber in erster Linie finanziell motiviert. Eine Versuchsdurchführung kann im Ausland zwei- bis dreimal weniger kosten. Ausserdem haben in Entwicklungs- und Schwellenländern breite Bevölkerungsschichten keinen oder nur beschränkten Zugang zu Medikamenten. Dies vereinfacht die Rekrutierung von Versuchsteilnehmenden und ver-- kürzt die Versuchsdauer. Zudem sind die Schwellenländer ein heftig umworbener Expansionsmarkt der Pharmamultis. Unternehmen, die dort klinische Ver- suche durchführen, können ihre eigenen Produkte fördern und im lokalen medizinischen Umfeld Fuss fassen.

Welche ethischen und rechtlichen Probleme sind mit dieser Praxis verbunden?
Bei den Versuchsteilnehmenden handelt es sich häufig um verletzliche Personen, die nicht lesen und schreiben können. Sie sind sich der gesundheitlichen Risiken nicht bewusst. Im Falle schwerer Nebenwirkungen werden sie oft nicht oder nur unzureichend entschädigt. Einige Versuchsteilnehmende erhalten Placebos, obwohl ihnen die bestmögliche Behandlung gewährt werden müsste. Auch die Fortsetzung der Behandlung ist nach Ablauf des Versuchs nicht gewährleistet. Zwar hat die internationale Gemeinschaft ethische Standards zum Schutz von Versuchsteilnehmenden definiert, wie die Deklaration von Helsinki. Die Behörden der südlichen und östlichen Länder haben aber Mühe, die Einhaltung dieser Standards zu prüfen. In diesem Umfeld müssten die Pharmaunternehmen ihre Wachsamkeit verdoppeln.

Wie sicher wissen Patienten in der Schweiz, ob sie Medikamente erhalten, die aufgrund seriöser Studienergebnisse auf den Markt gebracht wurden?
Es fehlt völlig an Transparenz. Die Informationen von der schweizerischen Zulassungs- und Kontrollbehörde für Heilmittel Swissmedic geben keinerlei Aufschluss darüber, wo und unter welchen Bedingungen die in der Schweiz vertriebenen Medikamente getestet wurden. Das neue Bundesgesetz über die Forschung am Menschen verbessert nur den Schutz von Menschen in der Forschung in unserem Lande, aber es schweigt zum Thema Globalisierung klinischer Versuche. Die Berichte über klinische Versuche werden nicht veröffentlicht. Dies erschwert die Durchführung unabhängiger Gegengutachten und hindert Ärztinnen und Ärzte an einer sachkundigen Auswahl möglicher Behandlungen.

Welche Möglichkeiten sehen Sie, um die angesprochenen Schwachstellen dieser Praxis auszumerzen?
Swissmedic muss die Bedingungen, unter denen die Versuche stattfanden, genauso gründlich prüfen wie die medizinischen Aspekte. Im Falle zweifelhafter Praktiken muss die Behörde befugt sein, eine Zulassung zu verzögern. Dieses Vorgehen würde die Pharmamultis motivieren, mehr Sorgfalt walten zu lassen. Zudem müssen dringend alle Phasen transparenter werden. Mit ihrer neuen, im letzten April verabschiedeten Verordnung über klinische Tests mit Humanarzneimitteln hat die Europäische Union konkrete Massnahmen in diese Richtung ergriffen, während die Schweiz noch immer hinterherhinkt.

Erklärung von Bern