Interview mit Hanspeter Kessler: Nachhaltigkeit bei Versicherern

Hanspeter Kessler, eidg. diplomierter Versicherungsfachmann mit langjähriger Erfahrung bei namhaften Gesellschaften wie Allianz, Elvia oder CAP, ist seit 2005 Mitinhaber und Mitglied der Geschäftsleitung von Fairsicherungsberatung in Bern. Durch diese Tätigkeit verfügt er über eine tiefe und fundierte Erfahrung punkto Nachhaltigkeit in der Versicherungsbranche.

ACTARES: Herr Kessler, eine Versicherungsgesellschaft kann ihre soziale und ökologische Verantwortung auf unterschiedliche Weise wahrnehmen: unmittelbar über die Arbeit ihrer Mitarbeitenden, über ihre Geschäftspolitik (z. B. durch unterschiedliche Prämien für mehr oder weniger saubere Autos) oder aber über ihre Anlagepolitik, indem sie ihre Investitionen unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit gestaltet. Welcher Weg ist aus Ihrer Sicht der effizienteste?

Hanspeter Kessler: Am effizientesten ist die Anlagepolitik. Im Rahmen der zweiten Säule, wovon die Versicherungen gut zwei Drittel bewirtschaften, werden rund 650 Milliarden Franken verwaltet. Zusammen mit der dritten Säule und den technischen Reserven aus dem Nicht-Leben-Geschäft ergibt dies enorme Beträge. Würden alle diese Gelder streng nach Nachhaltigkeitskriterien investiert, wäre die Wirkung spürbar. Allein durch die Energiesanierung des riesigen Gebäudeparks im Anlagenportefeuille wären greifbare Verbesserungen möglich. Kurzfristig wäre vielleicht eine niedrigere Rendite zu verzeichnen. Diese würde indessen durch die Abnahme der Risiken wettgemacht.

Der direkte Einfluss der Geschäftspolitik oder des Eigengeschäfts der Versicherungen dagegen ist minim. Dort liegt der Nutzen vor allen Dingen in der Beispiel- und Sensibilisierungswirkung.

Eine Verringerung der ökologischen Beeinträchtigungen kann für die Versicherer nur von Vorteil sein, denn diese werden von der Zunahme der Naturkatastrophen wie Überschwemmungen, Wirbelstürme und Erdrutsche arg gebeutelt. Dennoch engagieren sich nur wenige, obwohl alle davon profitieren. Zahlt sich unter diesen Umständen ein Einsatz überhaupt aus?

Tatsächlich haben die Versicherungen – und insbesondere die Rückversicherer, die auf diesem Gebiet tätig sind – ein Interesse daran, dass sich das Klima stabilisiert. Gewisse Naturrisiken wie etwa Überschwemmungen in gefährdeten Gebieten sind heute nicht mehr versicherbar. Dies stellt die Daseinsberechtigung der Versicherungsgesellschaften in Frage.

Natürlich kommt der Einsatz zugunsten der Umwelt der ganzen Branche zugute. Dennoch können die führenden Versicherer so einen Wettbewerbsvorteil erzielen: Sie erweitern ihr Know-how in Umweltfragen und geniessen einen besseren Ruf.

Bei Versicherungsmechanismen kommen unterschiedlichste Derivate zum Tragen. Diese spekulativen Instrumente stehen im Ruf, die Realwirtschaft zu destabilisieren. Sind Derivate wirklich unverzichtbar?

Bei der zweiten und dritten Säule ist die Maximalrendite nach wie vor ein entscheidendes Verkaufsargument. Unter diesen Umständen können weder soziale noch ökologische Kriterien berücksichtigt werden, und der Einsatz von Derivaten ist ein Muss. Die Versicherer müssen den Mut finden, ihren Kunden verantwortliche Lösungen anzubieten und ihnen zu erklären, dass auch die Rendite in einem vernünftigen Rahmen liegen muss. Hier braucht es noch Pionierarbeit.

Übrigens arbeitete Lloyds in den Anfängen der Unternehmensgeschichte nach einem System, bei dem britische Gentlemen für gewisse Risiken bürgten. Ging alles gut, erzielten diese einen ansprechenden Gewinn, und umgekehrt mussten sie im Schadensfall in die Tasche greifen. Strukturierte Produkte waren also bereits damals bekannt. Solange der Investor die eingegangenen Verpflichtungen beherrscht, ist der Einsatz von Derivaten vertretbar.

Müsste das freiwillige Engagement einzelner Unternehmen gefördert und die Rolle der Behörden oder internationalen Organisationen auf die Koordination beschränkt werden, oder braucht es vielmehr einen verbindlichen gesetzlichen Rahmen, damit alle Wirtschaftsakteure mit gleich langen Spiessen kämpfen?

Ich würde einen liberalen Ansatz bevorzugen. Versicherer, die Pionierarbeit leisten, sollen für ihren Innovationsgeist belohnt werden, indem ihre Attraktivität für Kunden gestärkt wird, die sich der weltweiten Herausforderungen bewusst sind und weniger Risiken bergen. Der Markt kann dabei helfen, den tragfähigsten Lösungen zum Durchbruch zu verhelfen. Versagt aber der Markt, sind staatliche Interventionen angezeigt.

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